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Henry mit seinen Eltern
Hoch hinaus: Wenn Henry mit seinen Eltern Joana Hüllmann und Jendrick Dose unterwegs ist, sorgt er für Action.

Henrys Geschichte zum Weltfrühchentag

17.11.2022 - Henry ist ein aufgeweckter dreijähriger Junge. Wenn ihn seine Eltern beim Spaziergang in die Luft wirbeln, kann es nicht hoch genug sein. Er liebt es, mit seinem Elektro-Quad durch die Gegend zu düsen, redet manchmal wie ein Wasserfall, probiert alles aus, löchert seine Eltern mit Fragen, tobt mit Gleichaltrigen, geht mit Begeisterung in den Kindergarten, ins Schwimmbad und zum Kinderturnen. Ein putzmunteres, kerngesundes Kind. Das alles ist weniger selbstverständlich als es klingt. Denn Henrys Start ins Leben war nicht einfach: 16 Wochen vor dem errechneten Geburtstermin musste er Ende Mai 2019 durch eine Notfallentbindung auf die Welt geholt werden. 550 Gramm schwer, 30 Zentimeter groß, eine Handvoll Leben, im Inkubator angeschlossen an dutzende Kabel und Geräte. Genau 99 Tage verbrachte Henry auf der Frühchen-Station im Klinikum Itzehoe. 99 Tage, in denen seine Eltern Joana Hüllmann und Jendrick Dose aus dem Kreis Pinneberg nie ihre positive Einstellung verloren. „Wir waren immer guter Dinge, dass wir da gut durchkommen“, sagt Joana Hüllmann. „Es gab zwar Tiefs, wir haben auch mal geweint und das Schicksal beklagt – aber wir haben nie die Hoffnung verloren und immer das Beste daraus gemacht.“ Dabei folgten sie dem Rat der Pflegefachkräfte und Ärzte, zu denen sie während der Zeit auf der Station eine sehr enge Bindung aufgebaut haben: „Sie haben uns geraten, jeden kleinen Schritt zu feiern“, sagt Jendrick Dose. „Und das haben wir gemacht: Alles wurde bejubelt, zum Beispiel als er aus dem Inkubator raus kam oder als er alleine geatmet hat.“ Durch die dunkleren Tage half das Spendenprojekt für die Babybe-Matten, das die Familie damals ins Leben gerufen hat. Durch die Initiative konnten mehrere der Hightech-Matratzen, die den Herzschlag und die Stimme der Eltern direkt in den Inkubator übertragen und die Entwicklung der Frühchen signifikant unterstützen, für die Station angeschafft werden. „Ich konnte mich an der Spenden-Aktion festhalten, sie hat dem Ganzen einen Sinn gegeben“, sagt Joana Hüllmann rückblickend. Als es Anfang September 2019 endlich nach Hause ging, war die Stimmung bestens: „Wir sind mit einem gesunden Kind nach Hause. Er war ja ‘nur‘ zu früh, aber hatte keine Erkrankungen“, sagt Jendrick Dose. Die Eltern hörten auf den Rat von Chefarzt Dr. Georg Hillebrand: „Er hat uns bei der Entlassung gesagt, dass wir Henry nicht mit Terminen vollknallen, sondern ihm den Raum lassen sollen, sich selbst zu entwickeln, er werde seine Schritte machen“, erinnert sich die Mutter. „Und daran haben wir uns gehalten: Wir haben ihm das gegeben, was er gebraucht hat, aber ihm nichts aufgedrückt.“ Henry bekam Physiotherapie und heilpädagogische Frühförderung, „aber wir haben ihn nicht in Watte gepackt, sondern immer normal behandelt“, sagt Joana Hüllmann. Und bei jeder Untersuchung durch Fachärzte gab es die Bestätigung: Henry ist kerngesund, er steht anderen Kindern in nichts nach. „Er darf auch genauso Blödsinn machen und er bekommt genauso Ärger“, sagt sein Vater lachend. Henry weiß, dass sein Start ins Leben besonders war. „Wir machen kein Geheimnis daraus. Es ist ja nichts, wofür man sich schämen oder was man verstecken muss – und es ist auch kein Verschulden der Mutter“, betont Joana Hüllmann. „Seine Babyfotos sehen halt anders aus als die von anderen Babys. Aber er darf sie sehen und fragt viel, zum Beispiel, warum er einen Schlauch im Mund oder ein Kabel am Fuß hat“, erzählt sie. „Wir versuchen, es ihm kindgerecht zu erklären und dann ist es für ihn auch völlig in Ordnung.“ Wie schwierig die damalige Zeit für die Eltern trotz allem war, kann wohl nur erahnen, wer es selbst erlebt hat. Deshalb steht Joana Hüllmann Betroffenen auch gerne helfend zur Seite. „Ich merke, dass es mir gut tut, wenn ich Betroffenen Mut mache – weil ich weiß, dass lieb gemeinte Worte von Nicht-Betroffenen sich manchmal falsch anfühlen können“, sagt sie. „Es ist ja nicht nur die Sorge um das Kind. Man wird ja auch der Schwangerschaft beraubt – es gibt kein Babybauch-Shooting, man kann nie von außen die Tritte des Babys gegen den Bauch beobachten, das verbindet Frühchen-Mütter.“ Manchmal wenn sie ihren Sohn sehen und er gerade wieder einen großen Entwicklungsschritt gemacht hat, sei schon der Gedanke da, was für ein kleines Wunder das doch ist, meint Jendrick Dose. Und als die Familie kürzlich die Frühchen-Station besucht hat, flossen nicht nur bei Mama Joana Hüllmann ein paar Tränen. Auch die Mitarbeitenden waren sehr gerührt. „Es ist der beste Lohn für unsere Arbeit, wenn man sieht, dass die Kleinen sich gut entwickeln. Das ist es ja, worauf wir hinarbeiten“, sagt Oberärztin Barbara Naust. Mehr als 150 Kinder, die vor der abgeschlossenen 37. Schwangerschaftswoche zur Welt kommen und damit per Definition als Frühgeborene zählen, werden jedes Jahr im Klinikum Itzehoe betreut, 20 bis 30 von ihnen mit einem Geburtsgewicht unter 1500 Gramm. „Es sind Kinder mit einem hohen Risiko“, weiß Barbara Naust. „Aber Henry ist das beste Beispiel dafür, dass es sich lohnt, auch für die Allerkleinsten zu kämpfen.“